
Vier Wochen noch – dann soll es mit der Forellensaison wieder los gehen. An meinem Hausgewässer verspreche ich mir nicht all zu viel davon. Aus Tiefenwasser eines Stausees gespeist, wird die Wassertemperatur bei vielleicht 6° liegen. Zu wenig vermutlich um den Metabolismus der Fische wieder kräftiger in Gang zu setzen. Woher stammen dann die Forellen auf den Fangfotos, die von stolzen Fliegenfischer:innen zu Saisonbeginn in den sozialen Medien gepostet werden? Oft, wenn auch nicht immer, aus Zuchtanlagen.
Beim Durchblättern einer Ausgabe von Der Fliegenfischer aus dem Jahr 1991 bin ich unter der Rubrik ‘Hege’ auf einen sehr interessanten Artikel gestoßen. Der Beitrag bezieht sich auf eine Verhaltensstudie eines amerikanischen Wissenschaftler über Salmo trutta fario – die Bachforelle. Aus der Untersuchung, die sich in erster Linie mit den Lebensraumanforderungen und Nahrungsaufnahme beschäftigt, leitet der Autor des Artikels – Leopold Mayer – anregende Denkanstöße ab.
➤ Die Fischbestandsdichte in Gewässern lässt sich nicht durch Besatzmaßnahmen dauerhaft und effektiv erhöhen, sondern nur durch optimale Gestaltung des Lebensraum, d.h. durch Renaturierung.
… was sagt die Verhaltensstudie
Bachforellen aller Altersklassen stellen an ihren Lebensraum unterschiedliche Ansprüche. Für das Überleben entscheidend sind eine ausgewogene Anzahl an Standplätzen (Freßplätze) und Unterstände (Fluchtplätze).
… meine eigenen Erfahrungen, was leite ich daraus ab
Vielleicht kennst du ein Gewässer oder einen Gewässerabschnitt, an dem sich zum Saisonbeginn folgende Situation abspielt. Gefühlt ergibt jeder Wurf den du machst einen Biss. Das Gewässer scheint nur so von Fischen zu wimmeln. Von Woche zu Woche geht dieses Gefühl zunehmend verloren. Anfänglich dachte ich, dass die Mitanglerinnen dafür verantwortlich sind, da sie jeden gefangenen Fisch, egal wie knapp an der Mindestmaßgrenze, entnehmen.
Mittlerweile erachte ich es als plausibler, dass der aus Zuchtbecken mit geringem Strömungseinlass stammende Besatz, einfach nicht in der Lage ist sich in der Natur mit ihren schwankenden Verhältnissen zu behaupten. Speziell im Frühjahr, wenn die Wasserstände niederschlagsbedingt starken Pegelveränderungen unterworfen sind, sehen sich Besatzfische den großen Herausforderungen nicht gewachsen. Gegen ihre wild abgewachsenen Cousins und Cousinen sind sie maßlos unterlegen, die ihre Unterstände und Fluchtplätze vehement verteidigen. Selbst in Länge und Umfang wesentlich kleinere Fische setzen sich im Kampf um die sichersten Rückzugsorte gnadenlos durch.
Letztendlich müssen sich Besatzfische mit Standplätzen zufrieden geben, die sie anfällig für sich veränderte Gewässerbedingungen und schutzlos gegen Prädatoren machen. Im besten Fall treiben sie weiter ab, bis sie irgendwo eine kleine Nische besetzen können. Im schlimmsten Fall macht ihnen die Natur ein Garaus.
➤ Ein reguliertes, monotones Gewässer kann – trotz günstigen Nahrungsabgebots – nur wenigen Bachforellen Lebensraum bieten.
… was sagt die Verhaltensstudie
Für ein optimiertes Leben benötigen Bachforellen Standplätze zur Nahrungsaufnahme und Fluchtplätze zum Schutz vor Jägern. Ist der Unterschlupf ungeeignet, bietet er nicht ausreichend Schutz vor Prädatoren und die Fische werden nicht alt. Ist das Verhältnis zwischen Standplatz und Rückzugsort unausgewogen, können nur wenige Fische sich im Überlebenskampf gegen dominantere Artgenossen und Fraßfeinde behaupten.
… meine eigenen Erfahrungen, was leite ich daraus ab
Ich bin überzeugt, dass jeder von uns schon gute Schlüpfe beobachten konnte, die uns letztlich mit einem Kopfkratzen zurückließen. Wo sind bloß die Fische, die sich an diesem gedeckten Tisch begeben, fragt man sich? Aller Wahrscheinlichkeit nach finden sich aufgrund fehlender Struktur, und damit verbunden einem Mangel an Fluchtplätzen, weniger Fische am Flussabschnitt ein, als es das reiche Nahrungsangebot vermuten ließe.
Bachforellen unterschiedlichen Alters benötigen unterschiedliche Lebensräume. Strömungsberuhigte, flache Zonen für Jungfische und Flucht – Rückzugsorte größeren Ausmaßes für die adulten Fische. Beides ist in monotonen, ggf. regulierten Gewässern nur eingeschränkt vorhanden. Die wenigen Rückzugsorte die es gibt sind besetzt und werden freiwillig nicht aufgegeben. Besatzfische müssen sich somit im Freiwasser aufhalten. Niedrigwasser macht sie für Feinde leicht erkennbar, Hochwasser spült sie wahrscheinlich fort. Über kostspieligen Besatz mit Bachforellen freuen sich Prädatoren und angrenzende Reviere wahrscheinlich am meisten.
Strukturänderungen durch ins Wasser gefallene Äste und von Hochwasser abgetriebenen Bäumen o.ä. sollten im Sinne der Lebensraumschaffung auf keinen Fall durch Entfernung des Treibguts rückgängig gemacht werden. Ohne viel Zutun oder aufwendige Renaturierungsmaßnahmen schaffen diese Ereignisse Lebensraum in ansonsten monotonen Gewässerabschnitten. Es sieht vielleicht nicht immer schön aus, schafft aber dringend benötigte Rückzugsräume für Forellen.

➤ Bachforellenbesatz ist nur sinnvoll als Übergangslösung bis Renaturierungsmaßnahmen fischereibiologisch und gewässerökologisch wirksam werden. Er ist nur in den Altersklassen und dem Umfang vertretbar und erfolgreich, in dem ein Rekrutierungsdefizit im Bestand besteht.
… was sagt die Verhaltensstudie
Bei Überbesatz selektiert die Natur unbarmherzig aus. Nur so viele Fische, wie zur Erhaltung der Population gebraucht werden, erhalten eine Überlebenschance. Beim Fischbesatz gilt nicht “Klotzen statt kleckern”. Sachkenntnis, Augenmaß, Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen sind Voraussetzungen für den Erfolg.
… meine eigenen Erfahrungen, was leite ich daraus ab
Angelvereine bringen viele Ressourcen auf, um ein Gewässer mit maßigen Fischen zu besetzen. Aus meiner Sicht sind diese Maßnahmen oft mehr am Angler und seinen kurzfristigen Zielen (Entnahme) orientiert, als an den Zielen der Bachforellen: Auffinden eines Lebensraums zur Nahrungsaufnahme, Schutz vor Fraßfeinden, oder zur Vermehrung. Wer schon einmal einem Vereinstreffen beiwohnte, in dem unterschiedliche Meinungen aufeinandertrafen, als der Besatz für die kommende Saison besprochen wurde, wird wissen, wovon ich spreche. Besatzmaßnahmen nur für ein Jahr auszusetzen, um zu beobachten, welche Veränderung das nach sich zieht, wird ggf. vehement abgelehnt. Solange aber Angler und Fliegenfischerinnen ihren Vereinsbeitrag mit Abschöpfung in Verbindung bringen, lässt sich eine Abnahme oder Verbesserung des Bestands nur sehr schwer messen.
Betrachte man die Kosten des Vereinsbeitrags aber eher als Privileg, sich in einem Lebensraum aufhalten zu dürfen, der in erster Linie für Fische bestimmt ist und der erst sekundär mit der Chance verknüpft ist, ab und zu eine maßige Forelle zu fangen und mitzunehmen, der wird erkennen, das besagtes Gewässer, gemessen an der Anzahl der Personen die dort primär das Ziel der Entnahme verfolgen, einfach nicht für jeden einen Ertrag liefern wird können.
Ein Wechsel der Einstellung zum Fischfang ist mehr denn je Gebot der Stunde. Über untermaßige Fische, sofern die Zwergwüchsigkeit kein Anzeichen von Verbuttung ist, kann man sich ebenso freuen. Der Fang von Fischen unterschiedlicher Größe ist ein Hinweis, für das Gewässer einen wichtigen Beitrag zu leisten und jenem Fisch das Heranwachsen ermöglicht zu haben. Kleine Fische, sofern sie nicht eingesetzt wurden, sind der beste Beweis für die Präsenz von fortpflanzungsfähigen Elterntieren. Dass Letztere sich Standplätze gesucht haben, die nicht immer einfach zu befischen sind, liegt in ihrer Natur. Ihr vermeintliches Nichtvorhandensein soll genau der Antrieb sein, als Angler Zeit aufzubringen am eigenen Können, Wissen und Verstand zu arbeiten, um auch diese Fische ans Band zu bekommen. Hand aufs Herz: Jeder Verein hat einen oder mehrere Kolleg:Innen, die trotz Widrigkeiten in der Lage sind, entnahmefähige, sogar kapitale Fänge vorzuweisen, während andere behaupten, der Fluss wäre leer an Fischen.
➤ Nur Wildfischabkömmlinge oder Satzfische, denen die Adaptionsfähigkeit an die Lebensbedingungen in natürlichen Gewässern noch nicht durch Domestikation verlorengegangene ist, haben Chancen, freie Standplätze in natürlichen Gewässern zu besetzen und zu behaupten.
… was sagt die Verhaltensstudie
In ein Versuchsgewässer, in dem alle verfügbaren Standplätze von Wildfischen besetzt waren, setzte der Autor der Untersuchung vor der Laichzeit 170 ca. 35cm große Bachforellen aus einer Zuchtanstalt ein. Im folgenden Frühjahr waren von diesen Besatzfischen nur noch zwei Exemplare davon in der Teststrecke auffindbar. Selbst um einiges kleineren Wildforellen (25 – 30 cm) bewiesen sich als dominanter und konnten ihre angestammten Reviere behaupten bzw. zurückerobern.
… meine eigenen Erfahrungen, was leite ich daraus ab
Kennst du den Unterschied zwischen einer wild angewachsenen Bachforelle und einem Besatzfisch? Letztere vermitteln oft das Gefühl, als wissen sie nicht was ihnen eben geschehe. Ohne viel Widerstand lassen sie sich einholen. Im Gegensatz dazu überschätzt man die Größe eines Wildfisches oft am gezeigten Widerstand nach dem Haken. Die Natur setzt fangfähig besetzten Fischen oft unerbittlich zu. Strömungen an die sie nicht gewöhnt sind, Nahrung die sie bislang nicht kannten, Gestalten von oben die ihnen nicht Nahrung bringen, sondern eine Bedrohung darstellen. Wen wundert es, dass der Frühjahrsbesatz oft nach kurzer Zeit schon nicht mehr anzutreffen ist.
Aus hegerischer Sicht ist es sinnvoller, Eier oder Brütlinge auszusetzen, sofern die Gewässerbedingungen es erlauben. Denn ohne Flachwasserzonen wird sich auch der Jungbesatz nicht lange behaupten können. Besatz mit erwachsenen Tieren findet am besten aus Zuchtanlagen statt, deren Fische in Durchflusskanälen aufgezogen wurden.

Fazit:
Fünf Monate ohne den Gang an die lieb gewonnene Flussstrecke ist eine lange Zeit. So herrscht zu Saisonbeginn oft ein reger Andrang. Schließlich möchte man endlich wieder am Wasser sein, die Rute schwingen, die Natur genießen und auch Angelfreunde wieder treffen. Dieses Interesse flaut oft bereits mit Ende des Frühjahrs wieder ab und von Woche zu Woche werden es weniger FliegenfischerInnen auf die man trifft.
Sagen die einen, es verschieben sich mit dem Sommer die Zeiten, an denen AnglerInnen ans Wasser gehen, mutmaßen andere, die Zeit am Wasser wird wieder einsamer, sobald der erste Besatz der Saison rausgefischt oder abgetrieben ist. Das mag ein hartes Urteil sein. Ein Funke Wahrheit schwingt dabei wahrscheinlich mit. Besatz mit fangfähigen Fischen sorgt zwar kurzfristig für Freude und Erfolg, langfristig wird sich der Bestand des Gewässers dadurch aber nicht nachhaltig verbessern.
Mit der Schaffung geeigneter Lebensräume hingegen, erhöhen wir nicht nur die Chancen des natürlich vorkommenden Wildbestandes, sondern sichern auch das Überleben des Fremdbesatzes. Sind die Gewässerbedingungen dafür nur bedingt vorhanden, lohnen sich Überlegungen, die vorhandenen Ressourcen (Geld, Zeit und Manpower) zur Schaffung dieser Räume aufzubringen. Bis sich ideale Lebensbedingungen einstellen, erfolgt Besatz am besten zielgerichtet anhand der existierenden Lebensräume, die das Gewässer bietet. Bei der Entnahme der gefangenen Beute bedarf es Zurückhaltung und der Wildfischbestand sollte mit Ausnahme erkennbar kranker Fische geschont werden. Eine angemessene Abschöpfung des Zuwachses ist aber zugleich unverzichtbar und stärkt die vorhandene Forellenpopulation. Auf Besatz für einige Zeit zu verzichten, ist den Versuch wert –probiert es einfach.
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Schöner Bericht!
Es gibt erfreulicherweise bereits eine Reihe von Gewässern, die seit langen Jahren gänzlich auf Besatzfische verzichten und bei denen es gelungen ist, stabile und sich selbst erhaltende Wildfischbestände aufzubauen. Nicht nur von Privatpersonen oder kleinen Pächtergemeinschaften, sondern sogar von Fischereivereinen.
Da sind auch Gewässer dabei, bei denen Gäste Tageskarten bekommen und wo die Entnahme von Fischen möglich ist, ohne dass die Bestände gefährdet werden.
Aussagen von befreundeten Gewässerbiologen:
Es gibt wesentlich mehr Gewässer, als man sich vorstellen kann, bei denen eine Bewirtschaftung ohne Besatzmaßnahmen möglich ist.
Strukturmaßnahmen, die Unterstände, Versteck- und Laichmöglichkeiten schaffen, sind auf Dauer wesentlich wirkungsvoller als Besatzmaßnahmen.
Sich selbst repoduzierende Fischbestände sind dem Fraßdruck von Fisch-fressenden Prädatoren gegenüber weit weniger anfällig, als Gewässer mit Besatzfischen.
Wenn noch selbst reproduzierende Bestände, z. B. von Bachforellen und Äschen da sind, sollten diese Arten nicht mehr besetzt werden, da sich das auf die natürlich vorkommenden Fischbestände (genetisch) negativ auswirkt.
Wenn nicht vollständig auf Besatz verzichtet wird (werden kann), dann sollte der Besatz von nicht reproduktionsfähigen Regenbogenforellen vorgezogen werden.
Herzliche Grüße,
Sepp Prantler
Herzlichen Dank Sepp! Es freut mich, dass deine Recherche meine Haltung unterstreicht. Ich bin überzeugt, dass mehr und mehr Vereine es sich zu Herzen nehmen, Besatzmaßnahmen naturverträglich umzusetzen. LG Tankred