
Den Briten sagt man nach, einen größeren Hang zur Exzentrik zu besitzen, als andere europäische Völker. Nicht alle Exzentriker suchen das Rampenlicht wie Boris Johnson oder Nigel Farage und verleiten dabei ihre Anhänger ins Verderben. Es gibt auch stille VertreterInnen wie Megan Boyd, die einstige Fliegenbinderin des heutigen Königs Charles III. Die lebte bewusst zurückgezogen bis in die 1980er Jahre in einem winzigen Haus ohne Elektrizität und laufendem Wasser. Seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr saß die von Kopf bis Fuß in Männerkleidung ausgestattete und mit einem Kurzhaarschnitt versehene Megan Boyd von morgens bis abends an ihrem Bindetisch, um klassische Lachsfliegen zu binden. Heute würde man sie vermutlich als queer bezeichnen.
Unter Umständen würde es dieser einfühlsame Film sogar schwer finden, produziert zu werden, da der Einsatz für Vielfalt, Gleichheit und Inklusion immer stärker den großen Zorn autoritärer Kräfte auf sich zieht. Von Russland über Europa bis in die USA erstreckt sich der von bestimmten Kräften als Kulturkampf betitelte Gegendruck, der sich mit ungeheuerlich aggressiver Vehemenz gegen die Sichtbarmachung ohnehin marginalisierter Bevölkerungsgruppen und Lebenskonzepte stemmt. Dass dieser Konflikt ausgerechnet aus den USA Verstärkung erhält, ist angesichts der Errungenschaften der letzten sechzig Jahre erschreckend. Oder hättest du Bücherverbote dort jemals für möglich gehalten? Europa muss sich tadeln lassen, wegen angeblich fehlender Meinungsfreiheit in sozialen Medien. Doch mittlerweile werden in den USA tausende Bücher aus Schulbibliotheken verbannt.
Angesichts des rasanten Tempos mit dem der U.S. Präsident und seine willigen Gehilfen die amerikanische Gesetzstruktur aushebeln und den Staatsapparat nach der Agenda von Project 2025 umformen, darf man nicht mehr länger von besorgniserregenden Vorboten sprechen. Es braucht hier auch keine Wiederholung der eingeleiteten Schritte der der letzten Wochen – dazu gibt es ausreichend Berichterstattung. Mit der Abrissbirne nimmt die U.S. Administration jede Institution ins Visier, die sich ihrem Vorhaben widersetzt, Schritt-für-Schritt eine autoritäre Regierungsform zu installieren. Eine Regierung die sich niemandem mehr verpflichtend fühlt und deren Interessen einzig der Macht- und Profitmaximierung unterliegen. Was das für amerikanische Fliegenfischer bedeutet, kann man sich ausmalen, wenn das Motto lautet: Drill baby drill.

Zurück zum BBC Film über Megan Boyd, dem ich zu seiner Erscheinung vor elf Jahren schon einen ausführlichen Bericht widmete. Der vollständige Name des Films lautet The Art of Fly Fishing: Kiss the water. Es ist dem Regisseur Eric Steel verziehen, die Kunst des Fliegenfischens auf die Kunst des Fliegenbindens von klassischen Lachsfliegen zu reduzieren. Es ist erstaunlich, dass er diesen Film inszenierte, denn eine Angel hielt er Zeit seines Lebens nie in der Hand. Vom Nachruf an Megan Boyd in der London Times war er aber so ergriffen, dass er nach Schottland fuhr, um mehr von der mysteriösen, zurückgezogen lebenden Fliegenbinderin zu erfahren.
Während der beinahe zehnjährigen Recherche entdeckte er Erinnerungen an eine faszinierende Persönlichkeit, die über einen Zeitraum von 65 Jahren mit ihren Bindekreationen verzauberte. Fliegenfischer aus aller Welt standen Schlange um eine ihrer begehrten Fliegen zu kaufen. Fliegenbinder gingen bei ihr über Jahre in die Lehre, bevor es ihnen erlaubt war, eine vollständige Fliege aus Megan Boyds Design nachzubilden. Aristokraten höchsten Ranges saßen in ihrem Haus ohne Strom und laufendem Wasser, geduldig wartend auf die Fertigstellung einer der elegant, verführerischen Lachsfliegen.
Megan Boyds Freunde und Zeitzeugen erweisen ihr in The Art of Fly Fishing: Kiss the water ebenso die Ehre, wie der Regisseur Eric Steel, der seine Bewunderung für die Verführungskunst der Fliegen mit den sanften Pinselschwingungen eines Malers verflicht. So entstand eine feinfühlige Dokumentation künstlerischen Flairs einer außergewöhnlichen Lebensgeschichte, mit Bildern einer atemberaubenden Landschaft, umrandet von der Wertschätzung die Megan Boyd bis ins hohe Alter von Menschen jedes gesellschaftlichen Ranges erhielt.
Mein Tipp: seht euch den Film an, solange er noch frei und kostenlos bereitgestellt wird.
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Hallo Tankred,
Danke für das einstellen dieser Perle der FF-Filmkunst.
Es ist immer wieder schön was Du so für uns alle findest!
Hallo Jens,
es ist mir eine große Freude, dich und die anderen Leser von F&Ä zu unterhalten.
Grüße, Tankred
wunderschön!!
ganz deiner Meinung!