Als ich auf ‘Bin am Meer’ aufmerksam wurde, war ich skeptisch aufgrund der Zuordnung des Titels in folgenden Rubriken eines Buchhändlers: Gesundheit – Lebensführung – Stressbewältigung. Mein ‘interner Geschichtenerzähler’, wie Udo Schroeter diese eine Stimme in mir bezeichnen würde, dieser Flüsterer der mir oft gut gemeinte, letztendlich jedoch gegen meinen Instinkt gerichtete Ratschläge in mein Bewusstsein stempelt, ordnete ‘Bin am Meer’ ohne Verzug unter esoterischen Hokuspokus ein. Zurecht vielleicht, quillt doch der Markt an Lebensratgebern über. Diese schreien laut nach meiner Aufmerksamkeit: wie ich effektiver arbeiten und mehr Geld verdienen kann, noch bessere Freunde in mein Umfeld hole, um mich auf die lebensgestalterische Überholspur zu lenken. Und doch fand ich die Gestaltung des Buchumschlags und die Tatsache, dass ‘Bin am Meer’ von einer Woche Meerforellenfischen handelt, attraktiv genug um meinen ‘Einflüsterer’ eine Absage zu erteilen. Probieren geht über studieren!
Oberflächlich betrachtet ist ‘Bin am Meer’ die Geschichte des Anglers Daniel, der sich für eine Woche nach Bornholm begibt, um sich von seinem stressgeplagten Alltag auszuklinken. Dass er jedoch den selbst verursachten Leistungsdruck – um mit Freunden, Kollegen, Nachbarn mitzuhalten – selbst beim Betreten der Insel schwer ablegen kann, wird ihm von Leif, seinem Guide für die Woche, bewusst gemacht. Hatte Daniel die Dienste Leifs in Anspruch genommen, um die kostbare Zeit nicht mit lästigen Suchen nach den besten Stränden zu vergeuden, stößt dieser seinen Kunden erst Mal vor den Kopf, indem er ihm Ruhe verordnet. Zeit um sich zu sammeln, innerlich anzukommen, sich auf die Fischerei auf Meerforellen vorzubereiten. Ginge es nach Daniel, stünde er nach der Ankunft im Ferienhaus bereits in der Wathose.
Unerwartet wie die Ankunft setzt sich Daniels Woche auf Bornholm fort. Erhoffte sich dieser, von Leif zu den besten Angelstellen auf der Insel geführt zu werden und die besten Tipps zum Fang von Meerforellen zu erhalten, so wird ihm im Laufe der Woche ein Fahrplan zu einer harmonischeren, zufriedeneren Lebensgestaltung vermittelt. Die Forelle, das Meer, der Strand und die Angelei werden zur Metapher für eine sinnvollere Lebensführung, im vollen Bewusstsein der eigenen wahren Wünsche und der Wertigkeiten, die unter dem Meteoriten- schauer auf uns einprasselnder künstlicher Reize begraben werden.
Der fühlende und denkende Mensch, als auch der Fliegenfischer vermeint sich im besonderen Einklang mit der Natur und doch geht auch diesem, im Grundrauschen von Statusdenken und kommerzieller Überflutung, der Sinn für Selbstbeschränkung und nach einem Leben in Einklang mit den tiefsten Bedürfnissen, in der Flut an Ablenkungen verloren. So lernt Daniel in dieser einen Woche von Leif, einem alten Mann dessen eigenes Leben sich in ausgewogener Balance befindet, sich zu besinnen auf das Wesentliche, dass uns Menschen zu ausgeglichenen Individuen macht.
Leif führt Daniel vor wie die Moderne, ihn über Jahrtausende entwickelte und mental fest verankerte Instinkte vergessen lässt. Doch Bedürfnisse nach sinnerfüllter Arbeit, geistiger als auch körperlicher Gesundheit, nach der Eingebundenheit in harmonischen Beziehungen mit Menschen in einer intakten Umwelt, können trotz rasanter technischer und gesellschaftlicher Entwicklungen der letzten hundertfünfzig Jahre nicht unterdrückt werden. Die Instinkte des Jägers – Achtsamkeit, Wunsch nach Freiheit, Vertrauen uvm. – befinden sich in einer Partition unserer Gehirns und können trotz der Versuche diese zu ersetzten, nicht überschrieben oder komplett gelöscht werden.
So begleiten wir Daniel auf seiner Reise zu sich selbst, und begehen mit ihm die Fährten, die ihn zu den Meerforellen führen werden. Dabei dürfen wir die Erfahrungen des erfahrenen Fischjägers Leif aufschnappen, der uns teilhaben lässt an seinem Wissen zur Meerforelle: ihren Entwicklungszyklen und den Lebensräumen, den Jagdgewohnheiten, den Beutetieren und deren Verhalten.
Meine anfängliche Skepsis hatte sich bereits nach den ersten Seiten verflüchtigt und nach zweimaligem Lesen bin ich noch immer überzeugt. Udo Schroeter – Verleger der sehr erfolgreichen Rapsbande Angelführer, Coach, und Fotograf – ist mit ‘Bin am Meer’ ein sehr schönes Werk gelungen, dass uns eindringlich vor Augen führt, welch elementaren Lebensbedürfnisse von vielen im Rausch des materiellen Strebens nach und nach vernachlässigt werden. Die Besinnung auf Werte im Einklang mit unseren tiefsten Begehren schreit nach Gehör.
Der Jahreswechsel ist vielleicht der geeignete Anlass, sich auf eine innere Erkundungsreise zu begeben, um auszuloten ob was uns antreibt, sich im harmonischen Einklang mit der Natur und uns selbst befindet. Und wer meint sich bereits im Zentrum seines Selbst verankert zu haben, kann sich an der berauschenden Naturfotografie in ‘Bin am Meer’ erfreuen, oder den ein oder anderen Tipp zur erfolgreichen Fischerei auf Meerforellen abholen.
Ich bedanke mich bei den Lesern und Leserinnen von Forelle & Äsche für das anhaltende Interesse an unseren Beiträgen. Euch allen wünsche ich einen fulminanten Start ins Jahr 2014. Mögen sich alle Vorsätze und Wünsche in den nächsten zwölf Monaten verwirklichen. Einen guten Rutsch – Tankred Rinder
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